Architekten schaffen lebenswerte Flüchtlingsunterkünfte
VON Redaktion Architektur
Im Jahr 2015 haben fast 40.000 Menschen in der Schweiz um Asyl gebeten, in Deutschland waren es 1,1 Millionen Frauen, Männer und Kinder. Auch wenn bei weitem nicht alle Asylsuchende werden bleiben dürfen – bis ihr Antrag bearbeitet ist, müssen sie untergebracht werden. Eine enorme Herausforderung für die Kommunen. Während am Anfang Turnhallen und leerstehende Baumärkte als Notunterkünfte herhalten mussten, geht es nun in einem zweiten Schritt darum, günstige Massenunterkünfte zu schaffen. Dafür werden gute Architekten gebraucht.
Das Problem
Die Flüchtlinge, die ab Sommer 2015 in Mitteleuropa überraschend zu Hunderttausend auftauchten, mussten vor der Obdachlosigkeit bewahrt werden. So wurden die Menschen in angemieteten Hotels, in Turnhallen, in Containern und sogar in Traglufthallen untergebracht. Die Kosten dafür waren sehr hoch, die Nachhaltigkeit gleich Null.
Zwar konnte mit diesen Notmaßnahmen verhindert werden, dass die Männer, Frauen und Kinder im Freien schlafen müssen, das Leben in solchen Provisorien wird trotzdem nach einigen Wochen unangenehm. Fehlende Privatsphäre, räumliche Enge und oft auch ein hoher Lärmpegel sorgen dafür, dass die Nerven vieler Asylbewerber schnell blank liegen. Wenn dann auch noch soziale Spannungen dazu kommen, weil zum Beispiel Pakistani mit keiner Bleibeperspektive sehen, dass Syrer nach und nach ihre Anerkennung bekommen und sogar ihre Familien nachholen dürfen, dann entsteht Frust. Erst wenn die Menschen ein Mindestmaß an Privatsphäre haben, wird sich die Stimmung entspannen können.
Die Herausforderungen
Die Flüchtlingskrise stellt die Regierungen Europas vor unzählige Herausforderungen. So muss es möglichst schnell gelingen, die Asylsuchenden menschenwürdig unterzubringen. Dabei muss die oft angespannte finanzielle Lage der Kommunen genauso in Betracht gezogen werden, wie auch der Aspekt der Nachhaltigkeit. Denn wer schnell billigsten Wohnraum hochzieht, der hat das Wohnungsproblem zwar kurzfristig gelöst, steht mittelfristig aber vor minderwertigen Immobilien, für die es weder Mieter noch Käufer gibt. Denn auf Dauer werden die Flüchtlinge nicht in den Notunterkünften leben. Und da die Politik versucht, die Flüchtlingsströme besser zu kontrollieren oder gar zu reduzieren, ist damit zu rechnen, dass bald Unterkünfte leer stehen werden.
- Die Unterkünfte müssen günstig sein.
- Gleichzeitig muss so gebaut werden, dass die Gebäude auch für eine andere Nutzung geeignet sind.
- Die Grundstückswahl muss gut durchdacht sein. Zum einen sind Baugrundstücke gerade in Großstädten häufig rar und teuer, zum anderen muss auch das soziale Umfeld die neuen Nachbarn akzeptieren. So gelingt zum Beispiel die Integration der Flüchtlinge in einem bürgerlichen Wohngebiet besser als in einem sozialen Brennpunkt.
Auf die Flüchtlingskrise war in ihrer vollen Wucht niemand vorbereitet. Dementsprechend lagen auch keine passenden Strategien in den Schreibtischen der nationalen Regierungen oder der Gemeinden. Ungewöhnliche Probleme können oft nur durch kreative Ansätze gelöst werden. Deshalb sollten etablierte Architekturbüros mit Newcomern und Universitäten kooperieren. Wettbewerbe können ausgeschrieben werden, um neue Ideen zu finden und nutzen zu können.
Gerade Kommunen, die einen Mangel an geeigneten Bauplätzen haben, müssen ihr Potenzial an Nachverdichtung überprüfen. Baulücken und Brachen sollten genauso genutzt, wie Bebauungspläne überdacht werden müssen. Die FAZ zitiert dazu die Präsidentin der Architekten- und Stadtplanerkammmer Hessen, Brigitte Holz: „Die Städte müssen unweigerlich neue planerische Lösungen und Strategien entwickeln.“
Kompromisse müssen (nicht unbedingt) sein
Architekten haben gemeinhin einen hohen Anspruch an ihre Arbeit. Sie haben während des Studiums und auch später im Berufsalltag gelernt, ästhetisch ansprechende Architektur zu schaffen, die ihren Nutzern den größtmöglichen Nutzen bringt und gleichzeitig den Werte der Nachhaltigkeit gerecht wird. Doch wenn es darum geht, dass schnell Wohnraum geschaffen werden muss, dann müssen Kommunen, Städteplaner und Architekten ab und an zu ein paar Abstrichen bereit sein.
Doch man darf nicht vergessen, dass die Kommunen nicht nur für die Erstunterbringung der Flüchtlinge Wohnraum zur Verfügung stellen müssen. Richtig schwierig wird es, wenn die Menschen eine Anerkennung bekommen und deshalb Anrecht auf eine angemessene Wohnung haben und sogar ihre Familien nachholen. Denn dann ist mit billigen Behelfsbauten nichts gewonnen. Diese Menschen sollen möglichst schnell in die aufnehmende Gesellschaft integriert werden. Das gelingt nur, wenn sie sich nicht als Menschen zweiter Klasse fühlen. Die Wohnqualität spielt hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Wenn es soweit kommt, dass auf der grünen Wiese Massenunterkünfte oder in familiären Wohnquartieren Gebäude mit mehreren hundert Bewohnern entstehen, dann ist es noch ein weiter Weg hin zur Integration. Im ersten Fall werden die Flüchtlinge keine Möglichkeit haben, die Alteingesessenen kennen zu lernen, bei der zweiten Variante kann man fast sicher von Spannungen ausgehen. Die Zahl der Menschen, die integriert werden sollen, darf die unmittelbare Nachbarschaft nicht überfordern.
Die Gebäude müssen eine sozialverträgliche Größe haben. Wenn nicht mehr als 100 oder maximal 200 Menschen auf einem Punkt untergebracht sind, dann lassen sich die Bauten gut in die städtebauliche Matrix einfügen.
So funktioniert’s
- Unterkünfte für Flüchtlinge sollten nicht in sozialen Brennpunkten errichtet werden, sondern in Wohngebieten, die so stabil sind, dass ihre Bewohner die Integrationsleistung erbringen können.
- Die Gebäude müssen innerhalb einer Stadt verteilt sein, so dass keine Ghettowirkung entsteht.
- Gerade bei der Erstunterbringung, aber auch bei der Anschlussunterbringung, ist es wichtig, die Flüchtlinge nicht sich selbst zu überlassen. In Kooperation zwischen professionellen Sozialarbeitern und ehrenamtlichen Helfern ist es einfacher, Neuankömmlinge und Alteingesessene in Kontakt miteinander zu bringen und Konflikten vorzubeugen.