Architektur mit Mission - Design für die Ärmsten der Welt

Design für die Ärmsten
Architektonisch beeindruckende Projekte beinhalten oft verglaste Fassaden, innovativen Einsatz von Beton oder eine imposante Formgebung. Doch einige Architekten streben danach, ihre Fähigkeiten anderweitig einzubringen. Sie entwickeln Bauprojekte für benachteiligte, arme Bevölkerungsschichten und wollen, dass ihr Design auf diese Weise gesellschaftlichen Mehrwert schafft.

Obdach ist ein menschliches Grundbedürfnis, das sich weltweit Millionen von Familien nicht leisten können. Über eine Milliarde Menschen leben heute in bitterer Armut, eine von sieben Personen haust in einem Slum. Je nach Kontinent nennt man sie Favelas, Villas miseria, oder bidonvilles. In den kommenden 15 Jahren wird sich die Zahl derer, die in Elendsvierteln leben noch verdoppeln, denn das urbane Leben hat Konjunktur.

Zum ersten Mal in der Geschichte lebt mehr als die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung konzentriert in großen Metropolen. Megacities wie Delhi, Shanghai, Sao Paulo oder Karachi haben die 20 Millionen Einwohnergrenze schon längst überschritten. So überrascht es auch nicht, dass über 90 Prozent des städtischen Wachstums genau dort, im globalen Süden, den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern, stattfindet. Hier ziehen schätzungsweise 70 Millionen neue Bewohner jedes Jahr in die Stadt. Sicheres und beständiges Obdach ist dabei nur einer Minderheit vorbehalten. Dass bezahlbarer Wohnraum auch ästhetisch ansprechend sein kann, wollen gleich mehrere international agierende Nichtregierungsorganisationen und Kooperationsprojekte mit innovativen Architekturprojekten beweisen.


Praktikable Alternativen schaffen

Armut ist eine komplexe Problematik, bei der finanzielle Schwierigkeiten häufig nur einen Teil des Problems darstellen. Geeigneter und bezahlbarer Wohnraum kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten die Armuts- und Lebenssituation zu verbessern. Die professionelle Hilfe eines Architekten ist jedoch für viele dieser Menschen unerschwinglich. Gemeinnützige Organisationen versuchen genau diese Lücke zu schließen. Architekten, die für eine hilfsbedürftige Klientel arbeiten, stehen also vor der Herausforderung praktische Projekte zu entwickeln, die das Leben der lokalen Bevölkerung bereichern.

Erfolgreiche Bauvorhaben reflektieren im Idealfall die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Realitäten des Ortes. Diese Kontextdimensionen sind wichtig, um nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei zu gestalten. Es gibt viele Faktoren, die bei der Entwicklung von Bauvorhaben für Entwicklungsländer berücksichtigt werden müssen. Egal, ob sich das Projekt an Katastrophenopfer oder die Ärmsten dieser Welt richtet, der Endverbraucher ist es, der beim Designprozess immer berücksichtigt werden muss. Flüchtlinge und Opfer von Katastrophen wie Tsunamis, Hurrikanes oder Erdbeben brauchen schnelle, funktionale und stabile Unterkünfte. Wahrlich keine leichte Designaufgabe. Geht es um verarmte Bevölkerungsschichten fällt der Fokus der Designer auf preiswerte Wohnlösungen. Häufig müssen seitens der Architekten weitere limitierende Faktoren mit eingerechnet werden. Nicht nur das Budget ist knapp, oft hapert es auch an Maschinen und Baumaterial. Die Suche nach innovativen Lösungen von wirtschaftlichen, sozialen und materiellen Problemen gehört eben bei solchen Projekten dazu. Herausforderungen, die sozial gesinnte Architekten gerne annehmen.

Design-Initiativen mit Vorbildfunktion

Architektur für die Mission

Impulsgeber auf dem Gebiet der humanitären Architektur ist die NGO «Architecture Sans Frontières International». Der Dachverband entstand 1979, während die deutsche Zweigorganisation der «Architekten über Grenzen» 1997 gegründet wurde. Vornehmlich werden Projekte in den Ländern Afrikas und Südamerikas realisiert. Dabei entstehen nicht nur temporäre Strukturen für Flüchtlingscamps. Die Organisation möchte nachhaltige Projekte mit lokalen Partnern verwirklichen, möglichst ohne westliche Arbeitskräfte entsenden zu müssen. So entstehen mit Hilfe der deutschen Experten vor allem Gebäude wie Schulen, Kinderheime und Krankenstationen.

Auch die Organisation «Architecture for Humanity» überzeugte auf ganzer Linie und wurde bereits Dutzende Male für ihr Engagement ausgezeichnet. Gegründet wurde die auf humanitäre Bauprojekte spezialisierte Organisation von Kate Stohr und Cameron Sinclair, einem englischen Architekten. Die NGO hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Entwicklungs- und Krisenregionen positive Impulse durch Design und Architektur zu setzen.

Für «Architecture for Humanity» engagiert sich mittlerweile ein Netzwerk von gut 40.000 Experten, darunter vor allem Architekten und Designer. Auf www.openarchitecturenetwork.org werden die Projekt- und Baupläne geteilt und so eine weltumspannende Kooperation ermöglicht. Im Portfolio der Organisation finden sich unter anderem Flüchtlingsbehausungen, Projekte für den Wiederaufbau nach Katastrophen, Sport- und Freizeitanlagen, Schulen und Wohngebäude.

«South of North», ein Kooperationsprojekt von 12 Architekturbüros skandinavischer Architekten, hat sich vorgenommen, zum absoluten Vorreiter bei Designkonzepten für humanitäre Zwecke zu avancieren. Dank der Dienste der Design-Profis soll das Leben von Menschen in Armut und Not nachhaltig verbessert werden. So entstehen Gebäude und Infrastrukturen für Tausende von Menschen, die ansonsten in unzureichenden Bedingungen leben.

Bei Urban-Think Tank (U-TT) handelt es sich um ein von Alfredo Brillembourg und seinem Kollegen Hubert Klumpner gegründetes Architekturbüro, das sich bereits seit 1998 dafür einsetzt, benachteilige und arme Menschen durch Design zu ermächtigen. Der Wirkungskreis der beiden Architektur-Professoren aus Zürich liegt dabei vor allem auf Venezuela. In Caracas leben gar 60% der Bevölkerung in Slums und anderen temporären Behausungen. Im Laufe der Jahre haben Brillembourg und Klumpner immer größere Projekte in Angriff genommen. Klumpner ließ sich dabei immer von der Fragestellung leiten, wie Interessen der Wissenschaft, Industrie, Regierung und Banken miteinander verbunden werden könnten, um gemeinsam größere Projekte zu verwirklichen. Mittlerweile kooperieren die sozial engagierten Architekten für einige ihrer Projekte mit Institutionen wie der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Schweizer Regierung.